Schwerpunktprogramm Sprachtypologie
der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Teilprojekt Perzeptionssemantik:

Sprachvergleichende Untersuchungen zur Semantik von Perzeptionsverben und Nominalisierungen


Übersicht:


Mitglieder:

Leiter
:
Uwe Mönnich (Tübingen; uwe.moennich@uni-tuebingen.de)
Fritz Hamm (Tübingen; fritz.hamm@uni-tuebingen.de)
Mitarbeiter
:
Stephan Berman (Stuttgart; steve@ims.uni-stuttgart.de)
Waldfried Premper (Tübingen; premper@uni-tuebingen.de)
Susanne Schüle (Tübingen; schuele@sfs.nphil.uni-tuebingen.de)
Assoziierte
:
Anne Holzapfel (Tübingen; holzapf@sfs.nphil.uni-tuebingen.de)
Edward Keenan (Los Angeles; ekeenan@ucla.edu)
Yoshiko Ono (Zürich; ono@oas.unizh.ch)
Götz Wienold (Tokyo)
Studentische Assoziierte:
Ulrich Rohmer (Konstanz)

Zielsetzung

Die zentrale Hypothese richtet sich auf einen typologisch ergiebigen Zusammenhang im Rahmen der lexikalischen Charakteristik einer ausgezeichneten Klasse von Inhaltswörtern in Verbindung mit entsprechenden "Einbettungen". Im einzelnen soll überprüft werden, in welcher Weise die funktionale Abhängigkeit zwischen der systematischen Bedeutungsextension in den kognitiven Bereich von Perzeptionsausdrücken auf der einen Seite und dem Verhältnis von satzartigen und nominalen Komplementen in Sprachen verschiedener typologischer Struktur auf der anderen Seite sich formal ausprägt. Als Nebenergebnis wird über den Fixpunkt der lexikalischen Typologie ein Beitrag zur Frage der typologischen Relativierung grammatischer Grundkategorien wie Satz, Verb, Nomen anvisiert. Folgende thematische Schwerpunkte sind grundlegend:

Vorgehen

Die Methodik der Untersuchungen bewegt sich im notorischen Spannungsfeld, das sich aus den Alternativen quantitativer vs. qualitativer, semasiologischer vs. onomasiologischer Analyse und des Einbezugs möglichst vieler Sprachen gegenüber einer tieferen Analyse der einschlägigen Phänomene anhand einer eingeschränkten Auswahl bezieht. Die Problematik der Identifikation bestimmter lexikalischer Klassen in Sprachen verschiedener Struktur ist virulent insofern, als das Hauptaugenmerk auf Perzeptionsverben gerichtet ist. In Sprachen mit eingeschränkter Komplementtypenvariation gewinnt die Beobachtung evidentialer Markierungsmittel verstärkte Bedeutung, um zu Aussagen über die sprachliche Exponenz der Opposition von Perzeptuellem und Kognitivem zu gelangen.

Erste Ergebnisse

Dass der von Viberg postulierten Lexikalisierungshierarchie von Perzeptionsverben eine Bedeutungsextension ins Kognitive entspricht, hat sich weitgehend bestätigt: eine solche Bedeutungsextension lässt sich im wesentlichen nur für die Ausdrücke des Sehens oder Hörens nachweisen (Rohmer).

Direkte perzeptuelle Wahrnehmung korreliert oft mit Komplementtypen, die sich durch den Gebrauch infiniter Verbformen konstituieren. Wo dies nicht der Fall ist, kann der Typ des Komplementierers die Aufgabe der Komplementtypdifferenzierung zur Signalisierung eines analogen Bedeutungsunterschieds hinsichtlich des Wahrnehmungstyps übernehmen. Dies kann auch in Sprachen vorkommen, die an sich durchaus über infinite Verbformen verfügen, wie sich gut im Japanischen beobachten lässt (Holzapfel, Premper).


Erläuterungen

In seinen ursprünglichen Studien zur lexikalischen Hierarchie von Perzeptionsverben unterscheidet Viberg zwischen drei verschiedenen Lesarten: dem Ausdruck spontaner Wahrnehmung, dem Ausdruck intentional gerichteter Wahrnehmung und dem Ausdruck der Zuordnung eines Individuums (einer Menge, einer Klasse) zu einer Klasse, einer Eigenschaft. Letztere Verwendungsweise wird kopulativ genannt, welcher Terminus auch für Verben wie sein, werden, gelten (als), aussehen (wie ) in entsprechenden Konstruktionen gebräuchlich ist. Wie Sprachen sich danach unterscheiden, welche Sinneswahrnehmungen sie lexikalisieren, so auch danach, wie die drei Gruppen in ihnen vertreten sind. Nicht alle Sprachen, die Perzeptionsverben lexikalisieren, weisen auch Perzeptionsverben in der Lesart von Kopulativverben auf bzw. verfügen über von Perzeptionsverben abgeleitete Kopulativverben.

Wir hatten unser Arbeitsprogramm zunächst auf die Ausdrücke für den spontanen Gebrauch abgestellt. Dafür sind drei Gründe ausschlaggebend gewesen. Zunächst sind die Ausdrücke für die spontane Wahrnehmung wesentlich häufiger in Sprachen verschiedenster typologischer Struktur lexikalisiert, als dies bei den beiden anderen Verwendungsweisen der Fall zu sein scheint. Demzufolge sind auch vorliegende lexikologische Untersuchen in diesem Bereich häuptsächlich Ausdrucksformen der spontanen Wahrnehmung gewidmet. Zweitens fehlt für die kopulative Lesart ein epistemisch neutrales Analogon, das zum Beispiel in der Modalität der visuellen Wahrnehmung die Rolle einer rein sensorischen Klassifikation übernehmen könnte. Es ist noch nicht einmal klar, was man sich auf der kognitiven Ebene unter einer Erfahrung sensorischer Klassifikation vorzustellen hätte, die nicht von einem konzeptionellen Bewusstsein begleitet wäre, etwas als etwas charakterisiert zu haben. Drittens schienen die grammatischen Eigenschaften, die diese Verwendungsweise auszeichnen, relativ eigenständig zu sein und nicht dazu zu tendieren, in solche funktionalen Zusammenhänge mit den anderen Verwendungsweisen zu treten, die die Basis für einen typologischen Sprachvergleich abzugeben vermöchten.

Allerdings haben wir dann doch die kopulativen Lesarten in unseren Betrachtungen berücksichtigt. Wie oben angedeutet, ist damit zu rechnen, dass in Sprachen, die über keine formalen Mittel verfügen, verschiedene Arten von Einbettungen voneinander abzugrenzen, der kognitiv-konzeptuelle Unterschied zwischen einer epistemisch neutralen, spontanen sinnlichen Erfahrung und einer bewussten propositionalen Einstellung durch die Verwendung von Ausdrücken signalisiert wird, die zur Klasse der evidentials zu rechnen sind. Der Nachweis Wienolds eines notwendigen Bedeutungsmerkmals, das bei Perzeptionsverben in ihrer Verwendung als Kopulativverben den Grad der Gewissheit angibt, bestätigt einerseits die inhärente Verbindung zwischen propositionalem Gehalt einer Wahrnehmung und der damit korrespondierenden evidentiell abgetönten (nicht-sinnlichen) Vorstellungsbeziehung, andererseits hat dieser Nachweis die unausweichliche Konsequenz, dass die Ausblendung der Verwendungsweise als Kopulativverben aus der Analyse der Perzeptionsverben nicht aufrechterhalten werden kann. Teilweise als Reflex auf diesen Sachverhalt finden sich in den Arbeitspapieren von Anne Holzapfel und Stephen Berman Überlegungen zu den evidentials im Japanischen bzw. zu den theoretischen Problemen, die die Kopulative im Englischen aufwerfen.

Insofern wischen den Mayasprachen und den austronesischen Sprachen eine strukturelle Verwandtschaft besteht, verspricht eine eingehende vergleichende Analyse von PerzeptionsausdrüŸcken, die in diesen Sprachfamilien belegbar sind, besondere Aufschlüsse unter typologischer Perspektive. Während eines Gastaufenthaltes in Tübingen hat Edward Keenan erste Schritte in Richtung einer Analyse von Perzeptionsverbkonstruktionen im Madegassischen unternommen. Seine vorläufigen Resultate lassen vermuten, dass neben der Verzahnung entsprechender sprachlicher Techniken, die das formale Gegenstück von Sachverhaltskonstitution einerseits und Propositionskonstitution andererseits bilden und die in analoger Ausprägung im Akatek und im Jakaltek z.B. zu beobachten sind, auch die verschiedenen Komplementtypen, die Susanne Schüle in ihrer Fallstudie zu den Mayasprachen hervorhebt, im Madegassischen eine Entsprechung haben.


Im Rahmen des Projekts entstandene Arbeiten

Berman, Steven 1996. Questions of syntactic and semantic correspondance in perception verb complements. Ms., Univ. Tübingen

Hamm, Fritz 1995. "Perfect and Imperfect Nominals." Groenendijk, J. (ed.) 1995. Ellipsis, underspecification and more in dynamic semantics. Dyana-Report R.2.2.C; 73-97

Hamm, Fritz 1996. Nominalizations, events and facts. Ms., Universität Tübingen

Hamm, Fritz 1998. Nominalisierungstypen im Akatek Maya und im Japanischen. Ms.

Hamm, Fritz (im Erscheinen). Rezension von R. Muskens Meaning and Partiality in Linguistische Berichte

Holzapfel, Anne 1996. Zur Evidentialität im Japanischen. Ms., Univ. Tübingen

Keenan, Edward L. 1996. Properties of Malagasy Perception Verbs. Ms, Universität

Mönnich, Uwe 1992. Ereignisse und Gedanken: Syntax und Semantik von Perzeptionsverbkomplementen. Ms., Universität Tübingen

Mönnich, Uwe 1996. Logik der inneren und äußeren Beobachtungen. Ms., Univ. Tübingen

Mönnich, Uwe 1999. Sprachtypologische Überlegungen zu Perzeptionskonstruktionen. Ms., Univ. Tübingen [180kb], (PS oder PDF)

Premper, Waldfried & Ono, Yoshiko 1996. Perzeptionsverben und ihre Komplemente.Ms., Univ. Tübingen [2 MB]

Rohmer, Ulrich 1996. Bedeutungsextension und Komplementtypen bei Perzeptionsverben.Ms., Universität Tübingen

Schüle, Susanne 1996. Perception Verb Complements in Mayan: A Case Study. Ms., Universität Tübingen

Wienold, Götz 1996. "Lesarten von Perzeptionsverben als Kopulativverben im Deutschen." Dokkyo Universität: Deutsche Abteilung der Fakultät Fremdsprachen; 89-115


Links

  • Zur Homepage des Seminars für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen (SfS)
  • Zur Homepage des Schwerpunktprogramms Sprachtypologie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)

  • Diese Seite wurde erstellt von W. Premper unter Verwendung von Texten der Antragsteller.
    Letzte Aktualisierung von Frank Morawietz
    Letzte Änderung: 15.06.2000